Immer häufiger rekrutieren Ministerien ihre Pressevertretung aus dem Kreis der Berichterstatter, stellen die Kompetenzen von Medienprofis in ihre persönlichen Dienste. Doch wie viel Nähe zur Politik verträgt der Journalismus und ab wann nimmt das Berufsethos strukturellen Schaden? Diese Fragen stellen sich spätestens nach Michael Stempfles Übergang vom ARD-Hauptstadtstudio zur Pressestelle des Verteidigungsministeriums erneut. Wenige Tage vor seinem Seitenwechsel hatte der designierte Pressesprecher einen Kommentar über Pistorius verfasst, Titel: „Ein Vollblutpolitiker, der anpackt“.
Von außen betrachtet wirkt der vorletzte Artikel des Journalisten wahlweise wie ein Bewerbungsschreiben oder eine Mitgift. Nur abgesehen von den beiden Protagonisten kann niemand mit Sicherheit sagen, ob eine Kausalität oder Koinzidenz vorliegt. Der Fall stellt jedoch eine grundsätzliche Problematik heraus: Werden journalistische Beiträge zum Verkaufsargument im Kampf um wenige lukrative Sprecherstellen, leidet die Kritikbereitschaft. Die vierte Gewalt droht zum zahnlosen Tiger zu verkommen.
Nun gibt es zahlreiche weitere Faktoren, die die professionelle Distanz beeinträchtigen können. Neben inhaltlicher und gesellschaftlicher Nähe spielen etwa die Abhängigkeit, mit Informationen versorgt zu werden, sowie das kollektive Verantwortungsbewusstsein in Krisenzeiten eine Rolle. Wie viele Pandemie-Maßnahmen wurden beispielsweise wider besseres Wissen verteidigt? Journalismus wird immer eine Grauzone beinhalten, aber gerade Verantwortliche des ÖRR stehen in der Pflicht, Vollblutjournalisten zu fördern, die gerne kritisieren.