Es wird an einem Relaunch der Seite gearbeitet. Neuigkeiten folgen in den kommenden Wochen.
Vollblutjournalisten, die gerne kritisieren
Immer häufiger rekrutieren Ministerien ihre Pressevertretung aus dem Kreis der Berichterstatter, stellen die Kompetenzen von Medienprofis in ihre persönlichen Dienste. Doch wie viel Nähe zur Politik verträgt der Journalismus und ab wann nimmt das Berufsethos strukturellen Schaden? Diese Fragen stellen sich spätestens nach Michael Stempfles Übergang vom ARD-Hauptstadtstudio zur Pressestelle des Verteidigungsministeriums erneut. Wenige Tage vor seinem Seitenwechsel hatte der designierte Pressesprecher einen Kommentar über Pistorius verfasst, Titel: „Ein Vollblutpolitiker, der anpackt“.
Von außen betrachtet wirkt der vorletzte Artikel des Journalisten wahlweise wie ein Bewerbungsschreiben oder eine Mitgift. Nur abgesehen von den beiden Protagonisten kann niemand mit Sicherheit sagen, ob eine Kausalität oder Koinzidenz vorliegt. Der Fall stellt jedoch eine grundsätzliche Problematik heraus: Werden journalistische Beiträge zum Verkaufsargument im Kampf um wenige lukrative Sprecherstellen, leidet die Kritikbereitschaft. Die vierte Gewalt droht zum zahnlosen Tiger zu verkommen.
Nun gibt es zahlreiche weitere Faktoren, die die professionelle Distanz beeinträchtigen können. Neben inhaltlicher und gesellschaftlicher Nähe spielen etwa die Abhängigkeit, mit Informationen versorgt zu werden, sowie das kollektive Verantwortungsbewusstsein in Krisenzeiten eine Rolle. Wie viele Pandemie-Maßnahmen wurden beispielsweise wider besseres Wissen verteidigt? Journalismus wird immer eine Grauzone beinhalten, aber gerade Verantwortliche des ÖRR stehen in der Pflicht, Vollblutjournalisten zu fördern, die gerne kritisieren.
Wahlrechtsreform: Wenn der Sieger zur Niete wird
Die Ampel präsentiert ihren Entwurf für eine Wahlrechtsreform, um den Bundestag dauerhaft zu verkleinern. Demnach sollen in Zukunft exakt 598 Abgeordnete auf den Sitzen des Berliner Reichstags Platz finden – 138 Volksvertreter weniger als derzeit. Allerdings ist das Vorhaben nicht neu, denn Angela Merkel war zuvor an Koalitionsdifferenzen gescheitert. Nun versucht die amtierende Regierung es erneut und nimmt dabei rechtliche und Vertrauensprobleme in Kauf.
Kern der Auseinandersetzung bildet die Frage, wie das Verhältnis von Direktmandaten und Zweitstimme geregelt wird. Erhält eine Partei aktuell mehr Direktmandate als ihr prozentual zustehen, bekommt sie Überhangmandate zugesprochen. Seit 2013 hat jedoch das Wahlergebnis nach Zweitstimme Vorrang. In der Folge entstehen Ausgleichsmandate für Parteien, die durch Direktmandate benachteiligt werden. Ein Teufelskreis, je mehr Parteien vertreten sind, desto wahrscheinlicher folgen Überhang- und Ausgleichsmandate.
Was gibt es also an den Plänen der Regierung auszusetzen? Steht der Entwurf, könnten Politiker auch dann ohne Bundestagsmandat bleiben, wenn sie ihren Wahlkreis gewinnen. Denn die Ampel möchte Überhangmandate gänzlich abschaffen: Überschreitet eine Partei ihren Wähleranteil, entfallen überschüssige Direktmandate. Ob eine solche Regelung verfassungsrechtlich Bestand hat, ist fraglich. Einen potenziell größeren Schaden könnte jedoch das Vertrauens in unser demokratisches System nehmen. Warum wählen gehen, wenn der Sieger am Ende doch zur Niete wird?
Pistorius: eine Entscheidung gegen Parität
Kanzler Scholz zaubert einen neuen Verteidigungsminister aus dem Hut. Boris Pistorius tritt die Nachfolge von Christine Lambrecht an und wechselt vom niedersächsischen Innenministerium an die die Spitze der Bundeswehr. Nach drei weiblichen Amtsinhabern steht erstmals seit 2013 wieder ein Mann der Truppe voran.
Den Startschuss für die Nachfolge setzte die Bild-Zeitung. Sie berichtete am Samstag über den nahenden Rücktritt der Verteidigungsministerin, der in Anbetracht diverser Fehltritte und ausbleibender Fürsprache plausibel erschien. Schnell wurde über die Neubesetzung debattiert. Von den möglichen Kandidaten präsentierte sich insbesondere Eva Högl als aussichtsreiche Aspirantin.
Der FAZ gegenüber machte sich die Wehrbeauftragte mit der Forderung nach 300 Milliarden für den Wehretat bemerkbar. Sowohl ihre Funktion als auch der Mangel an weiblichen Alternativen mit Militärexpertise brachten sie in die Poleposition. Scholz selbst hatte schließlich angekündigt, stets ein paritätisches Kabinett anführen zu wollen. Doch Minister wird nun ein Mann.
Für Pistorius spricht, dass er auf Erfahrung als Bürgermeister und Landesminister zurückgreifen kann. In Niedersachsen ist er nunmehr neun Jahre für die Sicherheit sowie 1.100 Bedienstete verantwortlich. Diese organisatorische Kompetenz gab wohl den Ausschlag, denn Europa befindet sich im Ausnahmezustand. Es herrscht Krieg in der Ukraine und da steht Parität hintenan. Jenseits geschlossener Medienblasen wird das auf Zustimmung treffen.
Der Wasserrohrbruch
Wenn es in den eigenen vier Wänden zu einem Rohrbruch kommt, dann werden Handwerker um Hilfe gerufen. Besitzen die entsprechenden Fachkräfte nicht nur die nötige Qualifikation, sondern auch die zeitlichen Kapazitäten, ist mit einer zeitnahen Lösung des Problems zu rechnen. Die defekte Verbindung wird ersetzt und etwaige Folgeschäden behoben. So ließe sich der reguläre Ablauf skizzieren, wenn im privaten Bereich ein konkretes Problem wie ein Rohrbruch auftritt.
In der Politik ticken die Uhren bekanntlich anders. Bevor hier die notwendigen Hilfsmaßnahmen eingeleitet werden, müssen zunächst Gutachter beauftragt werden. -Es mag aussehen wie ein Rohrbruch, es mag sich vielleicht anfühlen wie ein Rohrbruch, aber das Problem könnte auch eine ganz andere Ursache haben. Also wird ein externer Experte hinzugezogen, dessen Einschätzung erbeten wird. Parallel dazu muss die Hausgemeinschaft handlungsfähig bleiben, ein strategischer Fahrplan erstellt werden. Man gründet eine Kommission, die möglichst alle unterschiedlichen Interessen der Hausbewohner berücksichtigt.
Weil im Hintergrund weiterhin Wasser aus den Wänden tropft, kappt die Gemeinschaft der Wohnung vorsichtshalber die Wasserzufuhr. Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht abzusehen, zu welchem Ergebnis der Gutachter gelangen und wie lange die Behebung des Problems dauern wird. Folgerichtig muss eine Ersatzlösung gefunden werden. Damit erhält die Kommission ihren ersten Arbeitsauftrag: Wie kann der Wasserbedarf für die betroffene Wohneinheit gedeckt werden?
Nach intensiven Beratungen trifft man den Entschluss, den Wasseranschluss an der Rückseite des Hauses zur Überbrückung freizugeben. Er erfüllt gleich mehrere Bedingungen: Erstens ist durch die Nutzung des Hausschlüssels ein freier Zugang zum Garten sichergestellt. Zweitens müssen die restlichen Bewohner keine Einschnitte ihrer Privatsphäre hinnehmen – niemand wird belästigt. Drittens entstehen keine Zusatzkosten.
Tage des Eimerschleppens fordern ihren Tribut. Die Geschädigten klagen über körperliche Ausfallerscheinungen und richten deshalb eine schriftliche Beschwerde an die Kommission. Es kommt zu einer weiteren Tagung. Man berät, doch ein Kompromiss liegt in weiter Ferne, bis ein Anwesender einen Vorschlag äußert. Er gibt an, jemanden zu kennen, der einen Flaschenzug am Fenster installieren könne. Mangels Alternativen stimmt die Kommission dem Einfall zu später Stunde zu. Die Kosten werden geteilt.
Es kommt, wie es kommen musste. Der Bekannte, ein Freund aus der Kleingartenanlage, hat sich bei der Berechnung der Zugkraft verkalkuliert. Die Konstruktion bricht und schon die zweite Eimerladung landet mit einem Knall im Hof. Dabei werden mehrere Fahrräder beschädigt. Ein schriftlicher Auftrag liegt der Kommission nicht vor und so bittet sie den Verantwortlichen um die Offenlegung seines Chatverkehrs. Schließlich möchte sie erfahren, was vereinbart wurde.
Versehentlich hat dieser den Nachrichtenaustausch zu seinem Bekannten gelöscht. Man zeigt sich wenig amüsiert, jedoch ist der Ärger schnell verflogen. Sein alternativer Vorschlag, wie die Wasserversorgung der betroffenen Wohneinheit gewährleistet werden kann, ist der einzige des Abends, der eine Mehrheit findet. Anstelle des Flaschenzugs könne man eine mobile Sanitätsanlage im Garten aufstellen lassen. Die Kommission einigt sich darauf und wählt den Ideengeber anerkennend zu ihrem Präsidenten. Die Kosten werden abermals geteilt.
Vorsichtshalber entschließt sich das Komitee diesmal dazu, ein öffentliches Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Es erhält zahlreiche Angebote mit großen preislichen Unterschieden. Der günstigste Anbieter bekommt den Zuschlag, um die Ausgaben irgendwie im Rahmen zu halten. Später als erwartet und anders als ausgeschrieben, liefert der Sanitätsdienst nur eine mobile Toilette. Es dämmert der Kommission, warum der Anbieter auf eine Sonderklausel im Vertrag bestand. Hätte man sie vor der Unterzeichnung nur gelesen! Die Duscheinheit fehlt, wird aber gegen einen deutlichen Aufpreis bereitgestellt.
Kurz darauf erhält das Gremium das externe Gutachten: ein Ergebnis, das alle überrascht. Der Gutachter geht davon aus, dass ein Wasserrohrbruch vorliegt. Allerdings könne der Sachverständige weitere Rohrbrüche in naher Zukunft nicht ausschließen. „Sicher“ sagt er, die Leitungen seien noch recht jung, aber der Vorfall steigere die Wahrscheinlichkeit unerwarteter Zwischenfälle erheblich. Er rechnet vor, wie schnell die Kosten etwaiger Schadensbehebungen die einer fachgerechten Neuinstallation übersteigen könnten. Anschließend bietet er an, einen vertrauenswürdigen Unternehmer einzuschalten.
Mit der akuten Notlage befasst, willigt der Kommissionspräsident ein, ohne sich vorher mit der Kommission abzustimmen. Zu groß erscheint ihm das Risiko. Dummerweise hatte er nicht bedacht, dass für den Zeitraum der Bauarbeiten weitere mobile Sanitätseinheiten angemietet werden müssen. Um die Gemeinschaftskasse im Rahmen des Dispos zu halten, werden monatlich steigende Sonderabgaben vereinbart.
Endlich! Nur 18 Monate nach Auftreten des Rohrbruchs ist das Problem behoben. Die Kommission ist erleichtert und auch ein bisschen stolz auf ihre Flexibilität. Sie hatte sich kaum zugetraut, ein derart beschleunigtes Verfahren so effizient verwalten zu können. Das muss gefeiert werden!
Anlässlich des Erfolgs wird im Garten ein Sommerfest veranstaltet. Als zu später Stunde die Lichtanlage in Betrieb genommen wird, kommt es zu einem Kurzschluss. Die Sicherungen im Haus lassen sich nicht mehr anschalten – vermutlich hat die Überbeanspruchung die alten Stromleitungen in die Knie gezwungen.
Da die Gemeinschaftskasse leer ist, muss die Behebung des Problems warten. Sie wird auf das nächste Geschäftsjahr verschoben. Man verabredet, die Zeitspanne mit Kerzen, Gaskochern und Decken zu überbrücken.
ENDE
Rubel die Katz!
#Meine2Cents – 200 Worte wider den täglichen Blödsinn
Putin kündigt an, Gas nur noch in russischer Landeswährung zu verkaufen und zwingt uns Europäer, Farbe zu bekennen. Meinen wir die beschlossenen Sanktionen ernst oder knicken wir ein und tauschen unser Geld in Russland ein? Rubel die Katz! [Read more…] about Rubel die Katz!
Ukraine-Krieg: Deutschland steht blank da
Über die letzte Woche verdichteten sich die Zeichen, dass Putin von einer diplomatischen Lösung abgerückt ist und ein russischer Militäreinsatz in der Ukraine bevorstehen könnte. Doch auch die aggressive Fernsehansprache des Kremlchefs am Montag [1], in der er seinen Nachbarn Legitimität und Eigenständigkeit abspricht, ließ offen, in welchem Ausmaß der Krieg zurück nach Europa drängen würde.
Für politische Beobachter, die Putin ein Mindestmaß an Rationalität unterstellten (mich eingeschlossen), war bis zur Nacht vom 24. nur schwer vorstellbar, dass mehr als die beiden Regionen Donezk und Luhansk auf dem Spiel stehen. Trotz seines zur Schau gestellten Nationalismus hatte Putin stets Konflikte vermieden, deren Folgen unvorhersehbar schienen.
Diesmal entschied er sich für ein außenpolitisches All In. [Read more…] about Ukraine-Krieg: Deutschland steht blank da
Top 3 des Tages | 11.02.22
[1] Entwicklungen im Russland-Ukraine-Konflikt
Die USA erhöhen den Druck auf Russland. Präsident Biden fordert seine Landsleute in einem Interview dazu auf, die Ukraine zu verlassen. An Moskau richtet er die Warnung, dass eine Involvierung Amerikas zum dritten Weltkrieg führen werde. Außenminister Blinken weist darauf hin, dass ein Angriff jederzeit und sehr kurzfristig erfolgen könne. Unterdessen trennen sich die Verhandlungspartner des Normandie-Formats ohne Ergebnisse. Die Gespräche sollen dennoch fortgeführt werden.
- NBC News bietet eine Aufzeichnung des Interviews mit US-Präsident Biden.
- Till Fähnders blickt auf Blinkens Äußerung beim Quadrilateral Security Dialogue.
- ntv fasst die Streitpunkte des Normandie-Formats zusammen.
Lobbyismus mit offenem Visier? Warum nicht!
#Meine2Cents – 200 Worte wider den täglichen Blödsinn
Die Ernennung der Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zur Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik sorgt für Aufsehen. Selbst jenseits des Großen Teichs [1] wird die Personalentscheidung zur Kenntnis genommen. Bleibt die Frage, ob derart offener Lobbyismus auch kritikwürdig ist?
Grundsätzlich gibt es keine Politik ohne Lobbyarbeit. Es beginnt damit, dass Parteien dafür gewählt werden, Interessen von Wählergruppen zu vertreten. Hiernach richten sich auch Kontakte zu entsprechenden Vereinigungen. Die SPD etwa wäre nicht ohne Gewerkschaften, die CDU nicht ohne Kirche und die FDP nicht ohne Unternehmer vorstellbar. Stehen die Werte der beiden Partner jedoch im Widerspruch zueinander, sorgt das für Vertrauensverlust beim Wähler.
Ebenso schädlich ist bewusste Geheimhaltung. Selbst wenn die Allgemeinheit Vorteile aus einer Verbindung zieht, bleibt ein fader Beigeschmack zurück. Beispielhaft ist der Einsatz von EU-Kommissar Oettinger für Erdgas aus Aserbaidschan zu nennen. Das Argument für mehr Unabhängigkeit von Russland ist, wie die Ukraine-Krise zeigt, deutlich stärker als damals wahrgenommen. Persönliche Motive [2] verhinderten eine offenere, eine ehrlichere [3] Auseinandersetzung.
Kurzum, von Parteien wird erwartet, dass sie entsprechend ihrer Werte agieren, Transparenz gewährleisten und ihre Position nicht missbrauchen. Gerade deswegen kann ein Lobbyismus mit offenem Visier vertrauensbildend sein, oder wie Transparency International in Richtung der Sonderbeauftragten warnt „sie muss wissen, dass sie unter Beobachtung steht.“ [4] [Read more…] about Lobbyismus mit offenem Visier? Warum nicht!
Top 3 des Tages | 10.02.22
[1] USA: Lagerkampf bei Republikanern
Die mögliche Kandidatur Trumps bei der Präsidentschaftswahl 2024 wirft ihren Schatten voraus. Anstatt Bidens Umfrageschwäche mit Blick auf die Midterm Elections auszunutzen, ist ein Lagerkampf in der Republikanischen Partei entbrannt. Im Zentrum steht der Versuch der Parteiführung, den Kapitolsturm vom 6. Januar als legitime Meinungsäußerung darzustellen. Zwei interne Kritiker werden hart angegangen.
- Rachel Martin und Deirdre Walsh blicken auf die Reaktion von Senator und republikanischen Minderheitenführer Mitch McConnell.
- Stephen Collinson analysiert, welchen Einfluss der Lagerkampf auf die Midterm Elections hat.
- Die Zeit schildert, wie die zwei Abgeordnete ins Visier ihrer Parteikollegen gerieten.