Die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen endete mit einem Paukenschlag. Thomas Kemmerich, der Kandidat der FDP, ging als Sieger aus dem Rennen um das Ministerpräsidentenamt hervor. Ohne die geschlossene Unterstützung der AfD wäre dies jedoch nicht möglich gewesen.
Über viele Monate hatte Bodo Ramelow, der bisherige Ministerpräsident Thüringens, vergeblich versucht ein Regierungsbündnis zu schmieden. Er führte zahlreiche Gespräche und warb wiederholt für eine demokratische Regierung. CDU und FDP signalisierten allerdings weder die Bereitschaft dazu, sich direkt an einer Koalition unter linker Führung zu beteiligen, noch eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung zu tolerieren.
Die Regierungsbildung war infolge der hohen Stimmanteile der AfD erheblich erschwert. Mit ihren 23 % blockierte sie einerseits die Fortführung der bisherigen Regierung und andererseits die Bildung einer liberal-konservativen Regierung.
Da alle Fraktionen eine Kooperation mit der AfD ausschlossen, blieb folglich nur die Option einen modus operandi zu finden und zusammenzuarbeiten.
Wider jeden Anstand
Dementsprechend rechneten die meisten Beobachter mit der Wiederwahl Bodo Ramelows. Es war anzunehmen, dass CDU und FDP zwar nicht offiziell eine Linke Regierung unterstützen würden, aber Ramelow zumindest inoffiziell durch Abweichler und Enthaltungen grünes Licht erteilen würden.
Es kam anders. Im dritten Wahlgang vereinigte Kemmerich insgesamt 45 Stimmen auf sich, eine Stimme mehr als Amtsinhaber Ramelow. Der Kandidat der AfD, der immer noch zur Auswahl stand, erhielt hingegen keine einzige Stimme.
Einen solchen Vorgang als zufällig zu beschreiben, wäre äußerst naiv. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine reine Koinzidenz handelt, oder die AfD eigenmächtig den Eklat provozierte, aber wahrscheinlich ist es nicht. Dagegen sprechen z.B. ein Tweet von Wolfgang Tiefensee (SPD), der bereits Stunden vor der Wahl auf die mögliche Scharade hinwies, und die Tatsache, dass Kemmerich seine Wahl annahm und nicht ablehnte.
Mindestens – so muss konstatiert werden – akzeptierte die FDP-Fraktion von der AfD das Amt des Ministerpräsidenten überreicht bekommen zu haben. Damit beging sie Wortbruch und Kemmerich, der verkündete Anti-AfD zu sein, machte sich obendrein in aller Öffentlichkeit unglaubwürdig.
Ebenso wenig sollte vergessen werden, dass es sich bei der Thüringer AfD nicht um irgendeinen Teil der Partei handelt. Es ist die Höcke-AfD, die das Epizentrum des Flügels bildet:
Genau der Höcke, der enge Beziehungen zu Neonazis wie Thorsten Heise pflegt(e), unter dem Pseudonym Landolf Ladig in einer NPD-Zeitschrift publizierte und Anhänger der Jungen Alternative zu Wortschöpfungen wie Höcke Jugend inspiriert.
Genau der Flügel, der erst vor Kurzem vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wurde und damit unter ständiger Beobachtung steht.
Zurück bleibt ein unrühmlicher Eintrag in die Geschichtsbücher, der bei vielen Erinnerungen an Thüringen vor 90 Jahren weckt.
Wider jede Logik
Es bleibt die Frage zu beantworten, was sich Kemmerich und die FDP- Fraktion von der Annahme des Amts versprochen haben.
Der thüringische Ministerpräsident verfügt nicht über magische Kräfte. Kemmerich kann nicht einfach eine Regierung ernennen und am Parlament vorbei regieren. Er ist darauf angewiesen, dass eine Mehrheit des Parlaments seine Regierung bestätigt.
Dabei würde eine Koalition aus FDP und CDU massive Hilfe benötigen, denn ihre gemeinsamen Stimmanteile betragen gerade einmal 26%. Ohne die Zustimmung der AfD oder die Zustimmung von Linken, SPD und Grünen ginge faktisch nichts.
Realistisch ist jedoch keines der beiden Szenarien. Die Bundesparteien von FDP und CDU werden ein Bündnis mit oder eine Duldung durch die AfD nicht zulassen. Umgekehrt ist nicht vorstellbar, dass sich die bisherigen Regierungsparteien düpieren lassen und stillschweigend akzeptieren von einem Ministerpräsidenten in Höckes Gnaden regiert zu werden.
Neuwahlen, wie es schon zu hören war, sind das wahrscheinlichste Ergebnis des heutigen Eklats. Ob die FDP in diesem Fall überhaupt noch den Einzug schafft, diese Frage hätte sie sich besser vorher gestellt. Ihre Wähler hatten sich bewusst für eine bürgerliche Partei entschieden.
Gleichwohl ist die Tragik des Tages nicht am Schicksal einer Fraktion auszumachen. Sie liegt im Vertrauensverlust, der sowohl zwischen Demokraten als auch mit Blick auf unsere Demokratie entstanden ist.