Wenn es in den eigenen vier Wänden zu einem Rohrbruch kommt, dann werden Handwerker um Hilfe gerufen. Besitzen die entsprechenden Fachkräfte nicht nur die nötige Qualifikation, sondern auch die zeitlichen Kapazitäten, ist mit einer zeitnahen Lösung des Problems zu rechnen. Die defekte Verbindung wird ersetzt und etwaige Folgeschäden behoben. So ließe sich der reguläre Ablauf skizzieren, wenn im privaten Bereich ein konkretes Problem wie ein Rohrbruch auftritt.
In der Politik ticken die Uhren bekanntlich anders. Bevor hier die notwendigen Hilfsmaßnahmen eingeleitet werden, müssen zunächst Gutachter beauftragt werden. -Es mag aussehen wie ein Rohrbruch, es mag sich vielleicht anfühlen wie ein Rohrbruch, aber das Problem könnte auch eine ganz andere Ursache haben. Also wird ein externer Experte hinzugezogen, dessen Einschätzung erbeten wird. Parallel dazu muss die Hausgemeinschaft handlungsfähig bleiben, ein strategischer Fahrplan erstellt werden. Man gründet eine Kommission, die möglichst alle unterschiedlichen Interessen der Hausbewohner berücksichtigt.
Weil im Hintergrund weiterhin Wasser aus den Wänden tropft, kappt die Gemeinschaft der Wohnung vorsichtshalber die Wasserzufuhr. Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht abzusehen, zu welchem Ergebnis der Gutachter gelangen und wie lange die Behebung des Problems dauern wird. Folgerichtig muss eine Ersatzlösung gefunden werden. Damit erhält die Kommission ihren ersten Arbeitsauftrag: Wie kann der Wasserbedarf für die betroffene Wohneinheit gedeckt werden?
Nach intensiven Beratungen trifft man den Entschluss, den Wasseranschluss an der Rückseite des Hauses zur Überbrückung freizugeben. Er erfüllt gleich mehrere Bedingungen: Erstens ist durch die Nutzung des Hausschlüssels ein freier Zugang zum Garten sichergestellt. Zweitens müssen die restlichen Bewohner keine Einschnitte ihrer Privatsphäre hinnehmen – niemand wird belästigt. Drittens entstehen keine Zusatzkosten.
Tage des Eimerschleppens fordern ihren Tribut. Die Geschädigten klagen über körperliche Ausfallerscheinungen und richten deshalb eine schriftliche Beschwerde an die Kommission. Es kommt zu einer weiteren Tagung. Man berät, doch ein Kompromiss liegt in weiter Ferne, bis ein Anwesender einen Vorschlag äußert. Er gibt an, jemanden zu kennen, der einen Flaschenzug am Fenster installieren könne. Mangels Alternativen stimmt die Kommission dem Einfall zu später Stunde zu. Die Kosten werden geteilt.
Es kommt, wie es kommen musste. Der Bekannte, ein Freund aus der Kleingartenanlage, hat sich bei der Berechnung der Zugkraft verkalkuliert. Die Konstruktion bricht und schon die zweite Eimerladung landet mit einem Knall im Hof. Dabei werden mehrere Fahrräder beschädigt. Ein schriftlicher Auftrag liegt der Kommission nicht vor und so bittet sie den Verantwortlichen um die Offenlegung seines Chatverkehrs. Schließlich möchte sie erfahren, was vereinbart wurde.
Versehentlich hat dieser den Nachrichtenaustausch zu seinem Bekannten gelöscht. Man zeigt sich wenig amüsiert, jedoch ist der Ärger schnell verflogen. Sein alternativer Vorschlag, wie die Wasserversorgung der betroffenen Wohneinheit gewährleistet werden kann, ist der einzige des Abends, der eine Mehrheit findet. Anstelle des Flaschenzugs könne man eine mobile Sanitätsanlage im Garten aufstellen lassen. Die Kommission einigt sich darauf und wählt den Ideengeber anerkennend zu ihrem Präsidenten. Die Kosten werden abermals geteilt.
Vorsichtshalber entschließt sich das Komitee diesmal dazu, ein öffentliches Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Es erhält zahlreiche Angebote mit großen preislichen Unterschieden. Der günstigste Anbieter bekommt den Zuschlag, um die Ausgaben irgendwie im Rahmen zu halten. Später als erwartet und anders als ausgeschrieben, liefert der Sanitätsdienst nur eine mobile Toilette. Es dämmert der Kommission, warum der Anbieter auf eine Sonderklausel im Vertrag bestand. Hätte man sie vor der Unterzeichnung nur gelesen! Die Duscheinheit fehlt, wird aber gegen einen deutlichen Aufpreis bereitgestellt.
Kurz darauf erhält das Gremium das externe Gutachten: ein Ergebnis, das alle überrascht. Der Gutachter geht davon aus, dass ein Wasserrohrbruch vorliegt. Allerdings könne der Sachverständige weitere Rohrbrüche in naher Zukunft nicht ausschließen. „Sicher“ sagt er, die Leitungen seien noch recht jung, aber der Vorfall steigere die Wahrscheinlichkeit unerwarteter Zwischenfälle erheblich. Er rechnet vor, wie schnell die Kosten etwaiger Schadensbehebungen die einer fachgerechten Neuinstallation übersteigen könnten. Anschließend bietet er an, einen vertrauenswürdigen Unternehmer einzuschalten.
Mit der akuten Notlage befasst, willigt der Kommissionspräsident ein, ohne sich vorher mit der Kommission abzustimmen. Zu groß erscheint ihm das Risiko. Dummerweise hatte er nicht bedacht, dass für den Zeitraum der Bauarbeiten weitere mobile Sanitätseinheiten angemietet werden müssen. Um die Gemeinschaftskasse im Rahmen des Dispos zu halten, werden monatlich steigende Sonderabgaben vereinbart.
Endlich! Nur 18 Monate nach Auftreten des Rohrbruchs ist das Problem behoben. Die Kommission ist erleichtert und auch ein bisschen stolz auf ihre Flexibilität. Sie hatte sich kaum zugetraut, ein derart beschleunigtes Verfahren so effizient verwalten zu können. Das muss gefeiert werden!
Anlässlich des Erfolgs wird im Garten ein Sommerfest veranstaltet. Als zu später Stunde die Lichtanlage in Betrieb genommen wird, kommt es zu einem Kurzschluss. Die Sicherungen im Haus lassen sich nicht mehr anschalten – vermutlich hat die Überbeanspruchung die alten Stromleitungen in die Knie gezwungen.
Da die Gemeinschaftskasse leer ist, muss die Behebung des Problems warten. Sie wird auf das nächste Geschäftsjahr verschoben. Man verabredet, die Zeitspanne mit Kerzen, Gaskochern und Decken zu überbrücken.
ENDE